Montag, 9. Juni 2008

Leseprobe Teil 3

Aus dem Buch
Marschbefehl ins Ungewisse
von Ernst Albrecht





GEFANGEN IM TODESLAGER


…..Spät abends erreichten wir die vollkommen zerstörte Stadt Wesel. Wir überquerten den Rhein auf einer Pontonbrücke und kamen am 19. April nachts in Rheinberg an. Hier waren mit Stacheldrahtrollen Lagerfelder abgeteilt worden, worin man uns beorderte. Beim Absteigen vom Lkw nahmen wir unter aller Vorsicht die beiden Ami-Decken mit. Das war gut, denn sie sollten in der nächsten Zeit unser einziger Schutz gegen Wind und Wetter sein.
Es war ein kalter, unangenehmer April mit häufigem Schneefall, Regen und Nachtfrösten. In der Morgendämmerung sahen wir, dass wir in der Nähe einer Bahnlinie übernachtet hatten. Übernachtet? Gestanden, zusammengehockt, wie das so möglich war auf freiem Feld. An Schlaf war in dieser Situation überhaupt nicht zu denken.
Am Tage stellten wir fest, dass Gefangene – Prisoner of War (PW) – an anderen Stellen im Gelände Zäune errichteten. Zwei oder drei Wachtürme waren bereits erbaut, die jeweils mit zwei Amis besetzt waren. Unübersehbar ragte ein Maschinengewehr über die Brüstung des Turmes, wachsam und lauernd. Wer sich dem Zaun zu sehr näherte, konnte damit rechnen, dass ein schießwütiger Ami gnadenlos auf ihn ballerte. Der Gedanke an Flucht wurde damit schon im Keim erstickt. ….

….Uns fiel auf, dass ältere Landser sich leere Pappkartons und Blechdosen erhaschten. Wofür sollte das gut sein? Das erkannten wir aber schnell. Die Dosen wurden zu Schaufeln um sich Schutzlöcher in der Erde herzurichten. Wie bereits erwähnt, das Wetter im April war scheußlich und winterlich nasskalt. Diejenigen, die Pappe hatten, nutzten sie als Schlafunterlage im Feldloch. Die Dosen dienten außerdem dazu um seine lebensnotwenige Ration Wasser zu holen. Aber wie kam man an Pappe und Dosen heran? Irgendwie mit acht Augen klappte es dann schließlich mal.
Jetzt waren wir auf der Hut und machten uns daran, es diesen alten Hasen nachzueifern. Mit einer Blechdose schaufelten, besser gesagt, kratzten wir uns in den harten Lehmboden eine Vertiefung von zwanzig bis dreißig Zentimeter, in ungefähren Längen- und Breitenmaßen für uns vier Personen. Die ausgehobene Erde wurde als kleiner Wall um unsere Schlafgrube angelegt. So verschafften wir uns Schutz gegen den eisigen Wind, der übers freie Feld fegte. Wenn es allerdings regnete, nahmen wir unsere Pappunterlage unter den Arm und stellten uns dicht zusammen in unsere Schlafstätte. So konnten wir bei starkem Regen gleich feststellen, ob unsere Mulde nicht zur Badewanne wurde. Damit das Wasser versickern konnte, kratzten wir eine Vertiefung in die Mulde….

….Es gab Soldaten, die sich mit der Blechdose eine Höhle ins Erdreich scharrten. Allerdings hatte diese oft einen bedauerlichen, ja tödlichen Nachteil. Durch die häufigen Regengüsse im April weichte der Boden so weit auf, dass diese Höhlen zusammenbrachen und ihre Bewohner während des Schlafes lebendig begruben, vom Schlamm erstickt. …

….Dieser Wassertank wurde zu Beginn einmal am Tag gefüllt. Wir standen in langen Schlangen vor dem Zapfhahn. Mehr als eine Blechdose, etwa 0,5 bis 0,7 Liter chlorhaltiges Wasser bekam keiner. Wer Pech hatte und am Ende der Schlange stand, ging unter Umständen schon mal leer aus. Mit unseren Zigaretten kauften wir manche halbe Dose Wasser anderen Gefangenen ab. ….

….Es dauerte nicht lange, da brach die Ruhr aus. Eine durch Bakterien verursachte Infektionskrankheit des Darms, die das total geschwächte Immunsystem angriff. Wer konnte sich denn pflegen, waschen oder gar duschen? Keiner! Dafür war ja auch kein Wasser vorhanden. Hygiene gab es überhaupt nicht. Seit unserem Aufenthalt in Gommern hatten wir keine Möglichkeit gehabt uns zu waschen. Geduscht hatten wir zuletzt Anfang April in Zerbst. Zusätzlich durchnässte der Regen ständig unsere Kleidung, eine Wolke penetranten Modergeruchs umgab jeden. Man ekelte sich wahrlich vor sich selbst, wenn man darüber nachdachte. Doch mit der Zeit nahm man dies in der stumpfsinnigen Eintönigkeit nicht einmal mehr wahr. Das Einzige, was wirklich zählte, war Nahrung und das nackte Überleben.....


Wissenswertes zu diesem Thema findet sich auch auf folgenden Seiten:


http://www.rheinwiesenlager.de


http://de.wikipedia.org/wiki/Rheinwiesenlager