Kündigung oder Beschlagnahmung – was ist erlaubt?
Seit Wochen strömen Flüchtlinge in
ungeahnter Zahl nach Deutschland, mancherorts wird Wohnraum knapp. Vor allem in
kleinen Gemeinden wird ersten Mietern gekündigt. Ist das rechtens?
Damit die Akzeptanz
für ihre Flüchtlingspolitik nicht schwindet, will die Bundesregierung
Verteilungskämpfe zwischen Migranten und Einheimischen vermeiden. Doch wenn es
darum geht, in kleineren Gemeinden kurzfristig Wohnraum zu finden, kommt es
gele-
gentlich auch zu Spannungen.
Vor allem dann, wenn
Mieter ausziehen sollen, um Platz für Flüchtlinge zu machen. Das ist bislang
zwar nur in sehr wenigen Kommunen vorgekommen – vor allem
in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Diese Kündigungen haben aber
jeweils über die Stadtgrenzen hinaus große Aufregung ausgelöst. Auch weil
Rechte damit Stimmung machen.
Der
Deutsche Mieterbund (DMB) hält Kündigungen zur Unterbringung von Flüchtlingen
schlicht für unwirksam. "Es gibt keinen Kündigungsgrund, weil es nur um
den Austausch einer Mietpartei gegen eine andere geht", sagt DMB-Sprecher
Ulrich Ropertz. Deshalb könnten Behördenvertreter auch nicht "mit
Verteilungsgerechtigkeit argumentieren". Die betreffenden Kommunen bewegten sich
"rechtlich gesehen auf ganz dünnem Eis".
So ist die Rechtslage
Doch das sehen nicht
alle so. Juristen weisen zwar darauf hin, dass eine Kündigung unter Berufung
auf "Eigenbedarf", wie sie nach Paragraf 573 des Bürgerlichen
Gesetz-
buches möglich ist, in diesen Fällen nicht infrage kommt: Denn der
"Eigenbedarf" gilt nur für "natürliche Personen". Derselbe
Paragraf lässt aber auch die Beendigung eines Miet-
verhältnisses zu, wenn ein
"berechtigtes Interesse des Vermieters" vorliegt – und das kann eben
auch die Unterbringung von Asylbewerbern sein.
Dabei können die Kommunen auch auf ein Urteil des
Amtsgerichts Göttingen von 1991 verweisen. Damals hatte sich ein Mieter, der
von einer kleinen Gemeinde eine 105-Quadratmeter-Wohnung gemietet hatte,
vergeblich gegen eine Räumungsklage gewehrt.
In der Urteilsbegründung hieß es, die Gemeinde sei
verpflichtet, Obdachlose und Asylbewerber, die ihr zugewiesen würden,
unterzubringen. Die Vierzimmerwohnung sei für die Unterbringung größerer
Familien besonders gut geeignet. Der Mieter, der später auch vor dem
Landgericht scheiterte, hatte in der Vierzimmerwohnung zusammen mit einem
Untermieter gelebt.
Vor allem kleine
Gemeinden betroffen
Bislang sind von Kündigungen ausschließlich Bewohner
städtischer Mietwohnungen betroffen. In den meisten Fällen handelt es sich
sogar um ehemalige Flüchtlings-
unterkünfte, die nach dem Rückgang der
Flüchtlingszahlen Mitte der 90er-Jahre an andere Wohnungssuchende vermietet
worden waren.
"Wenn eines Tages eine Situation erreicht werden
sollte, in der dann auch die Mieter von privatem Wohnraum mit einer Kündigung
rechnen müssten, zum Beispiel wenn sie alleine eine besonders große, günstige
Wohnung bewohnen, dann muss wohl der Gesetzgeber ran – aber da besteht im
Moment noch kein Grund zur Sorge", sagt Sebastian Schmitz von der Kanzlei
CMS Hasche Sigle.
Bis auf einen Fall in Osnabrück wurden Kündigungen
zugunsten von Flüchtlingen bislang nur in kleineren Ortschaften wie
Niederkassel, Lindlar, Eschbach und Nieheim ausge-
sprochen. In größeren Städten,
wo mehr Flüchtlinge untergebracht werden müssen, setzt man dagegen vor allem
auf die Anmietung oder Beschlagnahmung von leer stehenden Gewerbeimmobilien.
Meist kommt es zu einer Einigung zwischen den Besitzern
und der Behörde. "Wir wissen aber auch von einem Fall, in dem der Besitzer
sich bewusst gegen eine Einigung entschieden hat, auch weil er Haftungsrisiken
fürchtete", berichtet Schmitz.
Städte weichen auf
Notquartiere aus
In Hamburg ist am vergangenen Donnerstag ein Gesetz
verabschiedet worden, das eine Beschlagnahmung leer stehender Gebäude
ermöglicht. Denn nach dem Polizeirecht war das zwar auch vorher schon möglich.
Neu ist jedoch, dass Widersprüche und Anfech-
tungsklagen künftig keine
aufschiebende Wirkung mehr haben. Ähnliche Pläne gibt es in Bremen.
Kritik an der Beschlagnahmung leer stehender
Gewerbeimmobilien kommt in Hamburg vor allem von der FDP. Wenn es aber um die
Kündigung von Mietern geht, die in preis-
werten städtischen Wohnungen leben, ist
vor allem Protest von Geringverdienern und Beziehern von Sozialleistungen zu
erwarten, die eher nicht zur Wählerschaft der FDP gehören.
Auch die Kommunen
haben ein großes Interesse daran, Spannungen zwischen Flücht-
lingen und
einkommensschwachen Bürgern zu vermeiden. "Die Situation vor Ort bei der
Unterbringung von Flüchtlingen ist angespannt, reguläre Unterkünfte wie
dezentrale Wohnungen und Heime sind fast überall ausgeschöpft", sagt der
Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus.
Die Städte müssten
immer mehr auf Notquartiere und Provisorien ausweichen. Damit die Beschlüsse
des jüngsten Flüchtlingsgipfels umgesetzt werden könnten, sei vor allem ein
rascher Ausbau der Erstaufnahmeeinrichtungen notwendig. Er sagt: "Denn nur
dann könnten sich die Kommunen auf die Flüchtlinge konzentrieren, die lange bei
uns bleiben werden."
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