Der Blick aufs Smartphone wiegt schwer
Täglich eine Stunde lassen wir den Kopf hängen, um auf
unsere Handys und Tablets zu starren. Auf unsere Halswirbelsäule wirkt dabei so
viel Kraft, als trügen wir ein siebenjähriges Kind im Nacken.
Jahrtausende der Evolution hat es gedauert, bis wir
endlich aufrecht standen. Unsere gesamte Anatomie ist heute auf einen anmutig
geraden Gang gepolt: Unsere Muskeln, jeder Knochen und alle Gelenke helfen uns
dabei. Seit Anbeginn der Smartphone-Ära scheinen wir uns jedoch schleichend
zurück zu entwickeln, hin zu jenen Ahnen, die noch mit gebeugtem Haupt und
dickem Nacken Mammuts erlegten. Für diese scheinbare Regression hat sich der
Begriff "Generation Kopf unten" oder auch "Head-down
Generation" eingebürgert. Er beschreibt das Phänomen, dass immer mehr
Menschen nur noch mit dem Blick nach unten anzutreffen sind, weil sie auf ihren
Endgeräten unablässig Nachrichten tippen, im Netz surfen oder ihre neusten
Selfies durch Farbfilter jagen müssen.
Experten warnen nicht erst seit gestern vorm
"Handy-Nacken", jenen gesundheitlichen Folgen des notorischen
Head-Down-Syndroms. Die Überdehnung des Halsmuskels kann zu Nackenschmerzen und
-verspannungen sowie Kopfschmerzen führen, sind sich Mediziner einig. Auch
Kenneth Hansraj, Chef-Chirurg am New Yorker Klinikum für Wirbelsäulenchirurgie
und Rehabilitation, beobachtet eine Zu-
nahme von haltungsbedingten Problemen,
die er auf den Gebrauch von Handys zurückführt. Seine Studie, die im Fachblatt "Surgical
Technology International" erschienen ist, zeigt: Blicken wir aufs
Display herab, so wirkt eine bis zu sechsmal stärkere Kraft auf un-
sere
Halswirbelsäule als bei einer neutralen Kopfhaltung.
Minimale Neigung verdoppelt das Gewicht
Beugen wir unseren Kopf nach unten, belasten wir unsere
Nacken- und die obere Rückenmuskulatur. In dieser angespannten Position
verharren wir mitunter recht ausdauernd: In Deutschland liegt die tägliche
Smartphone-Nutzung bei etwa einer bis anderthalb Stunden. Der Kopf eines
Erwachsenen wiegt in aufrechter Position etwa vier bis sechs Kilo. Je stärker
wir unseren Kopf nach vorne oder hinten neigen, desto schwerer wird er, weil
die Schwerkraft an ihm zieht. Schon wenn wir den Kopf in einem 15 Grad Winkel
senken, erhöhe sich das Gewicht, das auf die Halswirbelsäule wirkt, auf 12 kg.
Bei 60 Grad, jener Winkel, den wir beim Blick auf das Handy-Display ein-
nehmen,
erhöhe sich der Druck auf bis zu 27 kg. Das sei mehr als das Gewicht eines
Siebenjährigen, so Hansraj.
Klingt ganz schön viel. Hansraj ist nach eigenen Angaben
der erste Forscher, der den Druck des Kopfes auf den Nacken berechnet hat,
andere Studien lägen bislang nicht vor. Jürgen Harms, Wirbelsäulen-
chirurg am
Heidelbeger Ethianum, hält die von Hansraj berechneten Zahlen jedoch für
realistisch. "Aus früheren Studien wissen wir, dass der Druck, der auf die
Lendenwirbelsäule wirkt, bei normaler Körper-
haltung etwa 80 kg beträgt. Bei
einem Neigungswinkel von nur 10 Grad erhöht er sich schon auf 150 bis 180 kg".
Er könne sich daher gut vorstellen, dass sich der Druck des Kopfes auf die
Halswirbel-
säule ähnlich drastisch erhöht.
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Die Abbildung zeigt, wie sich das Gewicht auf den Nacken erhöht, je stärker der Kopf geneigt wird.© Kenneth Hansraj/Surgical Technology International |
Würde die natürliche Wirbelsäulenkurve durch die
anhaltende Ge-
sicht-nach-unten-Position fortwährend verändert, führe dies zu
Schädigungen und einer frühzeitigen Degeneration der Bandschei-
ben, die dann
möglicherweise operiert werden müsste. "Degenera-
tion wird häufig mit
Krankheit gleichgesetzt", sagt Herms. "Degeneration per se ist jedoch
keine Erkrankung, sie geschieht in jedem Körper und zwar ab dem Tag der
Geburt". Wer eine Stunde täglich aufs Smartphone hinabblickt, dem
attestiert Herms gute Chancen für einen frühzeitigen Verschleiß der
Bandscheiben.
Was also tun, um einem Handy-Nacken und damit verbundenen
Hal-
tungsschäden entgegenzuwirken? Die Antwort ist simpel: Haltung bewahren. Von
einer guten Haltung ist die Rede, wenn die Ohren auf einer Linie mit den
Schultern lägen und die Schulterblätter wie "Engelsflügel"
aufgestellt seien, so Hansraj. Dies sei die gesündeste Ausrichtung der Wirbelsäule
- mit ihr könne eine Abnutzung oder Schädigung der Wirbelsäule klar verringert
werden. Von ungesunder Haltung dagegen sprechen Experten, wenn der Kopf geneigt
ist und die Schultern nach vorne eingefallen sind.
Die Haltung beeinflusst auch unsere Psyche
Für eine gute Haltung spricht nicht nur das Wohl unseres
Rückgrats. Ein gerader Rücken lässt uns größer und laut diverser Studien auch
attraktiver und selbstbewusster erscheinen. Wissenschaftler haben zudem belegt,
dass sich ein aufrechter Gang auf unser psychisches Befinden auswirkt.
Psychologen an der Universität Witten/Herdecke und der kanadischen Queen's
University in Kingston haben heraus-
gefunden, dass Menschen, die aufrecht gehen,
Ereignisse positiver deuten als jene, die die Schultern und Kopf hängen lassen.
Eine schlechte Haltung, wie sie etwa auch häufig vor dem PC eingenom-
men wird,
wird in Zusammenhang mit Kopf- und Nackenschmerzen, chronischen
Rückenschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, De-
pressionen und Herzerkrankungen
gebracht.
Ein weiterer Tipp, um den Körper beim Smartphone-Gebrauch
zu schonen: Halten Sie das Gerät in verschiedenen Winkeln vor sich, mal weiter
entfernt, mal auf Höhe der Augen - das entlastet Ihre Wirbelsäule und
Halsmuskulatur sofort.
Mirja Hammer
Quelle: