Montag, 24. November 2014

Haltungsschäden - Smartphone-Nacken

Der Blick aufs Smartphone wiegt schwer 

Täglich eine Stunde lassen wir den Kopf hängen, um auf unsere Handys und Tablets zu starren. Auf unsere Halswirbelsäule wirkt dabei so viel Kraft, als trügen wir ein siebenjähriges Kind im Nacken.
Jahrtausende der Evolution hat es gedauert, bis wir endlich aufrecht standen. Unsere gesamte Anatomie ist heute auf einen anmutig geraden Gang gepolt: Unsere Muskeln, jeder Knochen und alle Gelenke helfen uns dabei. Seit Anbeginn der Smartphone-Ära scheinen wir uns jedoch schleichend zurück zu entwickeln, hin zu jenen Ahnen, die noch mit gebeugtem Haupt und dickem Nacken Mammuts erlegten. Für diese scheinbare Regression hat sich der Begriff "Generation Kopf unten" oder auch "Head-down Generation" eingebürgert. Er beschreibt das Phänomen, dass immer mehr Menschen nur noch mit dem Blick nach unten anzutreffen sind, weil sie auf ihren Endgeräten unablässig Nachrichten tippen, im Netz surfen oder ihre neusten Selfies durch Farbfilter jagen müssen.

Experten warnen nicht erst seit gestern vorm "Handy-Nacken", jenen gesundheitlichen Folgen des notorischen Head-Down-Syndroms. Die Überdehnung des Halsmuskels kann zu Nackenschmerzen und -verspannungen sowie Kopfschmerzen führen, sind sich Mediziner einig. Auch Kenneth Hansraj, Chef-Chirurg am New Yorker Klinikum für Wirbelsäulenchirurgie und Rehabilitation, beobachtet eine Zu-
nahme von haltungsbedingten Problemen, die er auf den Gebrauch von Handys zurückführt. Seine Studie, die im Fachblatt "Surgical Technology International" erschienen ist, zeigt: Blicken wir aufs Display herab, so wirkt eine bis zu sechsmal stärkere Kraft auf un-
sere Halswirbelsäule als bei einer neutralen Kopfhaltung.

Minimale Neigung verdoppelt das Gewicht

Beugen wir unseren Kopf nach unten, belasten wir unsere Nacken- und die obere Rückenmuskulatur. In dieser angespannten Position verharren wir mitunter recht ausdauernd: In Deutschland liegt die tägliche Smartphone-Nutzung bei etwa einer bis anderthalb Stunden. Der Kopf eines Erwachsenen wiegt in aufrechter Position etwa vier bis sechs Kilo. Je stärker wir unseren Kopf nach vorne oder hinten neigen, desto schwerer wird er, weil die Schwerkraft an ihm zieht. Schon wenn wir den Kopf in einem 15 Grad Winkel senken, erhöhe sich das Gewicht, das auf die Halswirbelsäule wirkt, auf 12 kg. Bei 60 Grad, jener Winkel, den wir beim Blick auf das Handy-Display ein-
nehmen, erhöhe sich der Druck auf bis zu 27 kg. Das sei mehr als das Gewicht eines Siebenjährigen, so Hansraj.
Klingt ganz schön viel. Hansraj ist nach eigenen Angaben der erste Forscher, der den Druck des Kopfes auf den Nacken berechnet hat, andere Studien lägen bislang nicht vor. Jürgen Harms, Wirbelsäulen-
chirurg am Heidelbeger Ethianum, hält die von Hansraj berechneten Zahlen jedoch für realistisch. "Aus früheren Studien wissen wir, dass der Druck, der auf die Lendenwirbelsäule wirkt, bei normaler Körper-
haltung etwa 80 kg beträgt. Bei einem Neigungswinkel von nur 10 Grad erhöht er sich schon auf 150 bis 180 kg". Er könne sich daher gut vorstellen, dass sich der Druck des Kopfes auf die Halswirbel-
säule ähnlich drastisch erhöht.

Die Abbildung zeigt, wie sich das Gewicht auf den Nacken erhöht, je stärker der Kopf geneigt wird.© Kenneth Hansraj/Surgical Technology International
 

Würde die natürliche Wirbelsäulenkurve durch die anhaltende Ge-
sicht-nach-unten-Position fortwährend verändert, führe dies zu Schädigungen und einer frühzeitigen Degeneration der Bandschei-
ben, die dann möglicherweise operiert werden müsste. "Degenera-
tion wird häufig mit Krankheit gleichgesetzt", sagt Herms. "Degeneration per se ist jedoch keine Erkrankung, sie geschieht in jedem Körper und zwar ab dem Tag der Geburt". Wer eine Stunde täglich aufs Smartphone hinabblickt, dem attestiert Herms gute Chancen für einen frühzeitigen Verschleiß der Bandscheiben.

Was also tun, um einem Handy-Nacken und damit verbundenen Hal-
tungsschäden entgegenzuwirken? Die Antwort ist simpel: Haltung bewahren. Von einer guten Haltung ist die Rede, wenn die Ohren auf einer Linie mit den Schultern lägen und die Schulterblätter wie "Engelsflügel" aufgestellt seien, so Hansraj. Dies sei die gesündeste Ausrichtung der Wirbelsäule - mit ihr könne eine Abnutzung oder Schädigung der Wirbelsäule klar verringert werden. Von ungesunder Haltung dagegen sprechen Experten, wenn der Kopf geneigt ist und die Schultern nach vorne eingefallen sind.

Die Haltung beeinflusst auch unsere Psyche

Für eine gute Haltung spricht nicht nur das Wohl unseres Rückgrats. Ein gerader Rücken lässt uns größer und laut diverser Studien auch attraktiver und selbstbewusster erscheinen. Wissenschaftler haben zudem belegt, dass sich ein aufrechter Gang auf unser psychisches Befinden auswirkt. Psychologen an der Universität Witten/Herdecke und der kanadischen Queen's University in Kingston haben heraus-
gefunden, dass Menschen, die aufrecht gehen, Ereignisse positiver deuten als jene, die die Schultern und Kopf hängen lassen. Eine schlechte Haltung, wie sie etwa auch häufig vor dem PC eingenom-
men wird, wird in Zusammenhang mit Kopf- und Nackenschmerzen, chronischen Rückenschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten, De-
pressionen und Herzerkrankungen gebracht.

Ein weiterer Tipp, um den Körper beim Smartphone-Gebrauch zu schonen: Halten Sie das Gerät in verschiedenen Winkeln vor sich, mal weiter entfernt, mal auf Höhe der Augen - das entlastet Ihre Wirbelsäule und Halsmuskulatur sofort.

Mirja Hammer 

Quelle:


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