Donnerstag, 27. Juni 2013

DIE EZB SPRICHT VON KRIEG!



Prof. Dr. Jürgen Stark, Ex-Chefvolkswirt der EZB, redet offen über den verbotenen Aufkauf von Staatsanleihen, der intern als „Nuklearwaffe“ bezeichnet wird. Und: über die Zukunft des Euro, die Gefahr einer Inflation – und warum wir geradewegs in die nächste Finanzkrise stürzen

                                                                                                          
Stark: Im EZB-Rat hieß es, dass infolge der europäischen Finanzkrise nun „Nuklearwaffen“ eingesetzt werden müssten – so wird der Einsatz eines ultimativen Instruments unter Zentralbanken bezeichnet, wie zum Beispiel der Kauf von Staatspapieren. Sie wollten also die Märkte mit Liquidität fluten. Ich hätte das eingesehen, wenn es eine akute Defla-
tionsgefahr gegeben hätte – aber das war nicht der Fall.

Stark: Zunächst schien das Szenario gar nicht so dramatisch. Denn sobald die EZB in Krisenländern intervenierte, hat sie an anderer Stelle Liquidität aus dem jeweiligen Markt genommen. Es gab Zuflüsse und Abflüsse und damit keine Gefahr einer Inflation.

Money: Aber eine Nuklearwaffe impliziert, neben der Verteidigung, doch vor allem Zerstörung.

Stark: Fest steht, dass sich Notenbanker und Politiker ab 2010 sowieso ein Vokabular angeeignet haben, das eher an eine krieger-
ische Auseinandersetzung erinnert als an eine Friedenszeit. Es hieß, man brauche Instrumente wie „Nuklearwaffen“, um abschreckend zu wirken gegenüber den Märkten. Man wollte zeigen, dass man mehr tun könnte. Denn in den USA und auch in Großbritannien nahm der Auf-
kauf von Staatspapieren ja längst größere Dimensionen an als im Euro-Gebiet.

Money: Welche beängstigenden Begriffe sind intern noch gefallen?

Stark: Es wurde ganz klar gesagt, dass wir uns „im Krieg“ befinden. Ich habe immer gefragt: Wo ist denn der Feind? Und wo sind unsere Truppen? Es hieß immer nur: „Wir haben Waffen, und die müssen wir einsetzen!“ Beim Einsetzen von Nuklearwaffen geht es ja meistens darum, möglicherweise noch größere Schäden zu vermeiden.

Stark: Die EZB hat in den Krisenländern nun mal eine politische Rolle übernommen, seitdem kommuniziert wurde: „Wir tun alles, um die Euro-Zone zusammenzuhalten.“ Natürlich muss ein Interesse daran bestehen, den Euro zu erhalten. Der Euro als Währung ist letztlich aber nicht in Gefahr. Was gefährdet ist, ist die derzeitige Zusammen-
setzung des Euro-Gebiets – die der 17 Mitgliedsstaaten.

Money: Kann der Euro überhaupt überleben? Steht die Euro-Zone vor dem Zusammenbruch?

Stark: Nein. Aber ich glaube, dass die derzeitige Zusammensetzung Euro-Lands gefährdet ist, da ich erhebliche Zweifel habe, ob alle Krisenländer den Anforderungen einer gemeinsamen Währung gerecht werden können. Wenn sie in der Lage gewesen wären, gegenüber den hohen Anforderungen einer Währungsunion zu bestehen, wären wir heute nicht in dieser Situation. Man hat sich nicht an die Regeln ge-
halten. Ungleichgewichte sind entstanden, und der erwartete „Gruppen-
druck“ hat nicht funktioniert. Mario Monti hat Recht, wenn er sagt, es gibt in Europa zu viel „ungesunde Höflichkeit“.

Money: Wie hoch wird die Inflation in Deutschland sein?

Stark: Es scheint mir sehr sicher zu sein, dass wir eine extrem heterogene Entwicklung in Europa erleben werden. Heißt: Die Peripherie wird sehr niedrige Inflationsraten oder sogar Deflation haben in den nächsten Jahren. Allerdings werden wir im nördlichen Teil des Währungsgebiets dafür höhere Inflationsraten sehen. Ich rechne für Deutschland in den kommenden Jahren mit bis zu vier Prozent. An-
scheinend ist das sogar gewollt, denn der Internationale Währungs-
fonds machte jüngst im April diese Rechnung auf: Wenn im Durch-
schnitt die Inflationsrate im Euro-Raum insgesamt bei etwas unter zwei Prozent liegen soll, dann muss Deutschland eine Inflationsrate von vier Prozent akzeptieren.

Money: Hohe Inflation und niedrige Zinsen – hat uns die finanzielle Repression voll erfasst?

Stark: In der Peripherie kann von finanzieller Repression nicht die Rede sein. Überall dort, wo wir negative Realzinsen haben – wie in Deutschland -, ist es jetzt aber eines. Denn diejenigen, die Interesse an deutschen Staatspapieren haben, werden durch den Wertverlust dafür bestraft. Deshalb müsste finanzielle Repression eigentlich ein viel breiter diskutiertes Thema sein. Auch die Kanzlerin hatte schon vor weiter sinkenden Zinsen gewarnt: Die niedrigen Zinsen führen dazu, dass Sparer bestraft werden. Mehr noch: Sparer mit Staatspapieren werden kalt enteignet durch diese Entwicklung!

Money: Vernichtet die EZB damit das Vermögen der heutigen und künftigen Generationen?

Stark: Wenn Sie überlegen, dass vor dem Hintergrund des demo-
grafischen Wandels selbst die Bundesregierung Anreize gibt, stärker Vorsorge für das Alter zu betreiben, wird dieser Rat durch die Niedrig-
zinspolitik konterkariert. Die maßgebliche Gefahr besteht darin, dass wir in eine Art Niedrigzinskultur hineingleiten, die noch niemand zuvor erlebt hat und von der wir nicht wissen, welche längerfristigen Folgen sie hat. Jedenfalls führt dies dazu, dass junge Leute, die eine Lebens-
versicherung abschließen, bedenken müssen, dass auch Lebensver-
sicherer in große Probleme gekommen sind, auskömmliche Renditen zu erzielen.

Quelle: Auszüge aus einem Interview der Zeitschrift FOCUS MONEY 27/2013 mit Professor Dr. Jürgen Stark

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